Montag, 27. Oktober 2014



Reise nach Jerusalem 

Photos: Sophie von Zitzewitz


Was ist die Reise deines Lebens? 

Wenn man darauf noch keine Antwort weiß, hier eine Idee!


Die Reise nach Jerusalem hat schon jeher meine Augen zum Leuchten gebracht. Angefangen bei Kindergeburtstagen, wo man äußerst trivial eine Reihe Stühle aneinander reihte, mit musikalischer Begleitung eine Weile um das seltsame Gebilde hopste und seinen Hintern gefälligst schnell auf einen Stuhl pflanzte, erlosch schlagartig die Musik . Irgendjemand flog dann immer ins Leere und unter lautem Gelächter raus - das war alles, was ich damals unter dem Wort Jerusalem verstand. 

Ebenso wenig fehlen durfte, niedliche 15 Jahre später, die heilige Stadt auf meinem Israel-Trip. Eines Morgens schraubten mein geliebter Fremdenführer und ich uns daher gen Osten durch die judäische Berglandschaft, hinauf zur Gipfelspitze. Hier thront herrschaftlich erhaben, zu Füßen von Felsbrocken und Ölbäumen, die Stadt der Götter - Jerusalem. 

Als Kapitale Israels mit der Landeshöchsten Einwohnerzahl (933.200 (2012)) gleicht die Stadt nichts als einem Ameisenhaufen - wuselig, emsig und überlaufen. Blechlawinen kriechen auf Schneckenhaus-Pfaden, immer enger ziehende Kreisen, auf den Stadtkern zu, blass golden zeichnen sich die Fassaden von einheitlichem Meleke-Kalkstein am Straßenrand ab, hier liegt die Calatrava-Brücke wie ein Vogel mit knöchernen Flügeln zwischen den Häusern, dort quetschen sich die Grabsteine Gut-Betuchter auf einem Felsenvorsprung nebeneinander. 

Wirklich spannend wird es erst, erreicht man die Tore der Altstadt. Denn kaum ist man um die verzweigten Korridore der Wachturmposten gebogen (die Passier-Stellen wurde damals beabsichtigt L-förmig konstruiert, damit die Feinde zu Pferde nicht unerwartet hindurchpreschen konnten) liegt der Großstadt-Trubel weit hinter einem. Plötzlich umgibt einen nur noch Geschichte. Es klingt wunderlich, doch ich fühlte mich gerade zu in die Seiten der Bibel hineinspaziert. Der Stein der hochbetagten Jaffamauer, über Jahrhunderte an dieser Stelle platziert, von der Sonne ihren goldenen Schimmer auferlegt, stolzgewachsen strecken die Palmen ihre Häupter hoch hinaus, aus den Straßenlädchen verzaubern einem himmlische Symphonien die Ohren und über das Kopfsteinpflaster reiten auf Eseln Frauen und Männer in weißen Gewändern, Tonkrügen zu Kopf (Figuren meiner einsetzenden Fantasie).




Bevor man allerdings in das einzigartige Labyrinth der Gänge, unterirdischer Paläste, Ausgrabungstätte, Tempel und Basar-Welten taucht, ist man mit einem vernünftigem Paar Schuhen, einer gut verriegelten Handtasche und besonders als Mädchen mit weniger reizvoller Kleidung (Hotpants und Mops-Aussichten könnten hier für jede Menge Ärger sorgen) gut beraten - nur falls Ihr auch bald das Vergnügen habt, in der Altstadt von Jerusalem zu sein. 

Zur Auswahl stehen uns drei sehenswerte Distrikte, eins unterschiedlicher als das andere. 
Angefangen mit dem der Christen, meinen Glaubensbrüdern wie man auch sagen könnte. Vergleichsweise klein ist es und ruhig, nur Touristen (an ihrer Socken-Sandalen-Garnitur zu erkennen und das bei 30°) und ein paar verhuschte Nonnen bekommt man hier zu Gesicht. 
Der wahre Zauber hält sich unter der Erde versteckt. Hier findet man sie, die Gläubigen, steigt man nur die steinernen Stufen in die Tiefen Jerusalem hinab. Von Kerzenschein erhellt, führen die von Kreuzen und Fischen versehenen Gänge immer tiefen in den Stadt-Ursprung. 
Seit der Frühzeit (1000 v.Chr.), als König David die Amalekiter und Philister besiegte, sich zum König der Israeliten ernennen und seinen Regierungsitz nach Jerusalem verlegen ließ, also das Königreich Israel gründete, ist die Stadt von zahlreichen Eroberungen wie Zerstörungen geprägt worden. Spuren der königlichen, kulturellen Machtverschiebungen finden sich aus einem bestimmten Grund im Boden, weil Jerusalem immer wieder auf seinen Trümmern errichtet wurde. Je tiefer man sich begibt, desto weiter dringt man demnach in die Vergangenheit ein. 

Eingang der Grabeskirche 

Wie heilig Jesus Anhängern dieser Ort ist, spiegelt die ungeheure Feierlichkeit wieder, die einem besonders in der Grabeskirche (auch Ort der Wiederauferstehung) entgegen schlägt. Es ist nicht die Kälte oder schummrige Finsternis, die mich hier erschaudern lässt. Nein, wohl eher die spirituelle Kraft der Gläubigen, so präsent als schwebe sie geradezu über ihren Köpfen! Singend, betend wie Tränen vergießend beugen sie sich immer wieder über die besagte  Fläche von Stein, auf der Jesus nach seiner Kreuzigung einbalsamiert worden sein soll. Bekanntlich kann er es in seinem Grab (ein paar Schritte weiter) nicht lange ausgehalten haben... 

Noch faszinierender als die Küsse verteilenden Granit-Anbeter ist allerdings die prunkvoll verzierte Decke, mit ihrer Farbenpracht die Blicke auf sich ziehend. Ich streife durch das Haus eines göttlichen Königs, nicht von Zimmer zu Zimmer, sondern von Palast zu Palast. Meine Blicke scheinen gebannt von den monumentalen Himmelskuppeln, Architektur von Meisterhand, einzigartiger Schönheit. Ich bin nicht religiös, aber dieser überirdische Anblick raubt mir die Sprache. 
Später gehe ich die Via Dolorosa runter (lat. qualvoller, Schmerzerfühlter Weg) auf der Jesus mit Dornen geschmückt das Kreuz zu seiner Todestädte trug, was auch das dolorosa erklärt - armer Kerl. Warum muss Religion eigentlich immer so blutig sein?! 

Wenn man die Grabeskirche das Herz des Christen-Viertel nennt, sind die restlichen 40 Kirchen, Klöster und Pilgerstädten nichts anderes als ihre Venen, die wichtigste Glaubensstädte mit Anhängern versorgend. Ihre ehrfurchtsvollen, von tiefster Rührung erfassten Gesichter sind mir immer noch in Erinnerung. Viele schienen am Ziel ihrer Träume angelangt, ihrem Hergott fühlbar nahe. 

Alltag im jüdischen Viertel


Das Erbe Roms - Ausgrabungen im jüdischen Viertel

Aber jetzt zu einem anderen Thema: Shoppen! 
Das ist hier nämlich ein Erlebnis der ganz besonderen Art, weit entfernt von der westlichen Verschwender-Kultur. Am besten bekommt man das bunten Basar-Leben im arabischen Viertel mit. Hier sitzen einem die redseligen, Feilschwütigen Händler geradezu auf den Füßen. Ausgebreitet haben sie auf ihren Warentischen alles, was das Herz begehrt. 


Ob Kerzenleuchter, bunte Seide, Datteln & Feigen, Kaffeebohnen, traditionelle Gewänder, orientalische Gewürze, Schmuck, Kinderspielzeug, Rinderkeulen oder Arznei - man weiß gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Die Leute strömen hierher, um sich für jede Lebenslage einzudecken, was die immense Vielfältigkeit auf eindrucksvolle Weise erklärt. Es handelt sich hier, in den antiken Gassen voller Blumen und alter Steinpracht, um einen gigantischen, traditionellen Markt, der doch höchst modern wirkt. Man kommt nicht nur her, um von den klebrigen Baklava zu kosten (zuckersüße Blätterteig-Teilchen, am besten mit Pistazien-Füllung!), sondern auch um sich beim Barbier den Schnurbart stutzen zu lassen, Myrre und Weihrauch zu schnuppern, oder einen kunstvoll bestickten Teppich auszusuchen. 







"Jerusalem ist kein lebloses Museum - das ist auch das tolle. Leute wohnen noch in den Heiligtümern, weshalb sie auch gut drauf aufpassen!", erzählt mein Fremdenführer und untermauert die meinigen Eindrücke.   

Im Vergleich zu den anderen Glaubens-Bezirken steppte in al-Quds definitiv am meisten der Bär. Ein wenig schmeckte jener Spaziergang auch nach Zeitreise, da seine Einwohner doch das gute, alte Leben aus dem Orient zu führen schienen. War das einmal Palästina? Sollte es eines Tages wiedergeboren werden (worin eine ganze Generation noch ihre Hoffnung bettet), so flaniere ich jedenfalls gerade durch seine zukünftige Hauptstadt/Ostjerusalem.
Zwar war es unter der Woche, dennoch schien jeder seine gesamte Sippschaft im Gebäck zu haben, unterwegs noch seine Freunde und Bekannten anzutreffen, oder war mit dem eigenen Tageslohn beschäftigt. So wie Europäer vielleicht mal zum Wochenend-Markt schlendern, wenn auch resignierter. Nein, hier schiebt man Karren voll Säcke auf und ab, presst Granatäpfel, kaut an Lakritzstangen, zählt Geld, spricht zwischendrin ein Gebet nach Osten und jodelt den Kunden an. 

Geschlossen! verkündet ein Soldat, als ich gerade die vielen Treppen des Tempelbergs heraufgeklettert bin und durch die byzantinischen Säulen schon den goldenen Schrein des Felsendomes glänzen sehe. Jammerschade! Da werden mir doch da, wo Mohammed in den Himmel gefahren ist, die Tore verschlossen. Aber Schluss mit dem Aberglaube. Ich wende dem einstigen Osmanischen Reich und all seinen märchenhaften Schatten den Rücken zu und gelange, auf den berühmten Ölberg zusteuernd, zum Heiligtum der Juden. 

Wenn man genau hinhört, singt jene Mauer gewiss schon ihr eigenes Klagelied.  
Lange habe ich mich gewundert, wie man denn eine Mauer anbeten kann?! Bis zu dem Tag, an dem man mir weismachte, dass es sich nicht um einen primitiven Stadt-Wall wie Beispielweise die Berliner Mauer handelt, sondern um die Überreste des zweiten Tempel-Plateaus.  Tempel?

Dafür denke man sich in die Zeit 50-70 n.Chr. zurück, als der Urenkel Herodes des Großen einen prächtigen Tempel im südöstlichen Teil der Stadt errichtete - dort wo heute der Felsendom thront.  Stehen ließen die Römer im jüdischen Krieg (70 n.Chr.) nur jene West-Wand, in dessen Ritzen heutzutage tausende Briefe und Fürbitten hausen. Verankert ist der Tempel und somit die Mauer (hebräisch nur Kotel) tief im Judentum, das bekam (selbst) ich in nur sieben Tagen mit. Zu ihrer Gedenken zerschmettert das Brautpaar nach dem Ja-Wort das Glas (äußerst spaßige Angelegenheit), oder man belässt beim Hausbau traditionell eine Wand uneben. 

Platz der Klagemauer (links) im jüdischen Viertel
Ein Basar-Stand modern interpretiert
Decke der Grabeskirche
Süßes aus der arabischen Welt
Kuppel der Grabeskirche, die Mehrheit der Gelehrten ist sogar der Überzeugung, dass hier auch Jesus Kreuzigung stattfand. 

Äußerst fasziniert kann ich es nicht lassen, die Orthodoxen zu beobachten. Unverkennbar in lange, schwarze Mäntel gehüllt, das buschige, Kinnlange Haar von einem schwarzen Hut gezähmt, stecken sie, zu Füßen ihrer Kotel, die Nasen in Thora-Büchlein und eifrig die Verse vor sich hermurmelnd, wippen sie ... und wippen. 

Frauen in langen Röcken und Kopftüchern tun es ihnen um nichts nach. Wenn nicht sogar eine Spur gefühlvoller, entfernen sie sich Schritt für Schritt, das Gesicht von Ehrfurcht gezeichnet, ohne auch nur kurz den Blick von der Mauer abzuwenden. Eine seltsame Stimmung herrscht hier. Besinnlichkeit, wenn doch Aufruhr. 
In der Mitte des Platzes errichtet man Podien, rückt Stühle zurecht und hisst blutrote Flaggen. Die Jüngsten der Armee sollen heute, wenn die Sonne am höchsten steht, für ihre Verdienste im Militär geehrt werden. Eine Art Einschulungs-Feier, bloß mit Maschinengewehren statt Zuckertüten im Arm. 
Eine Sirene beginnt zu heulen - Bombenalarm! Irgendeine böse Vorahnung hatte sich in mir empor gefressen und schien sich mit einem Mal zu bestätigen. Mit einem Klos im Hals blicke ich mich um; ruckzuck haben sie alle Ausgänge abgeschottet und lassen niemanden mehr aus ihrem Gefahren-Gehege heraus. 

Vielleicht waren es nur groteske zehn Minuten, die man dort in Ungewissheit schwebte, und doch schien eine halbe Ewigkeit an meinen Nerven zu nagen. Ein Sinnbild der Spannung, die in den Gassen von Jerusalem hängt. Die Melodie vom Tanz auf dem Vulkan, von einem Multikulturellem Gewitter, bei dem so viele mannigfaltige Ansichten aufeinanderprallen. Sei es "nur" Politik oder schlichtweg der Glaube. 
Letzten Endes Fehl-Alarm; ein Herrenloses Gepäckstück hatte sich an der Mauer die Beine vertreten. 







Doch so schnell ich den Terroristen meiner Illusion entfleuche, bin ich selbst schon einer. So kann's gehen. 
Zwei Sicherheitkontrolle haben wir zu durchqueren, bevor wir ein Fuß ins Jüdische Viertel setzen dürfen. Aber die misstrauischen Beamten-Mienen sind es den Besuch alle Mal wert. Unleugbar geht der Atmosphären-Oscar nämlich an diese Ecke der Stadt. Was die Römer an prunkvoller Bau-Eleganz als Grundstein legten, wurde 1948 von jordanischen Truppen zwar in Schutt und Asche gelegt, 1967 bei der jüdischen Rückeroberung jedoch wiederbelebt. Großzügige Spenden aus amerikanischen wie europäischen Gemeinden machten schließlich die Geburt eines so herrlichen Stückchens Metropole möglich, das mir nicht mehr aus dem Sinn geht.  

Schlicht und doch pompös schmiegen sich die Anwesen in den Ölberg, den Blick auf das weiße Tal Jerusalem gelenkt, unter den Blätterdächern der knöchernen Feigen- und Olivenbäume lukt die gelbe Sahne-Haube des Felsendomes hervor, von der Sonne gezeichnet fliegen die Schatten von Hüten über die Kalkstein-Wände. Es herrscht eine friedliche Ruhe, von Ordnung und Sauberkeit gestützt, sanfter Wüstenwind raschelt in den Blättern, in einem Innenhof spielen Studenten Violine, eine Horde ausgelassener Schulkinder in Uniform und Kippa auf den Schöpfen stürmt einen Falafel-Deli, in der Ecke flötet ein alter Herr auf seiner Klarinette jene jüdischen Klänge in die Lüfte, die Lust zum Tanzen wecken. 





Jerusalem hat mich schon immer bewegt, selbst wenn ich es hasste - und Gott weiß, dass ich es hasste, allein wegen des Leids, das es über so viele Menschen gebracht hatte. Aber der Anblick der Stadt, sei es von der Ferne oder aus dem Labyrinth von Mauern heraus, besänftigt mich. Jeder Quadratzentimeter von Jerusalem bringt die Zuversicht antiker Zivilisationen. Man spürt Tod und Geburt, tief in den Eingeweiden der Stadt. Die Vergötterten und Verdammten habe ihre Fußabdrücke im Sand hinterlassen. Jerusalem ist so oft erobert, zerstört und wieder aufgebaut geworden, dass seine Steine bereits ein Eigenleben zu führen scheinen, geboren aus Blut und Gebeten. Aber auf irgendeine Art scheint die Stadt auch Demut auszustrahlen. Die Stadt entfacht in mir ein tiefes Gefühl der Vertrautheit.

Während die Welt schlief
Susan Abulhawa, 






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