Donnerstag, 11. September 2014





Willkommen in der neuen Welt

Photo: Tim Walker Photography 



Ein gewaltiger Stein fällt mir immer noch vom Herzen, komme ich an meiner alten Schule vorbei. Das Leben scheint jetzt so viel schöner. 


So wie meine Mutter jedes mal ihrem alten Gymnasium den Mittelfinger zeigen muss (führt der Weg wieder dran vorbei) ist es bei mir nicht ganz so schlimm. Selig, dass unter diese Geschichte ein Punkt gesetzt ist, bin ich trotzdem allemal!
Angefangen bei dem Astbest-Verseuchten Höhlen meines Schulgebäudes mit Gestalt einer Fabrik (von Arne Jacobs persönlich erdacht, herzlichen Dank auch dem Denkmalschutz), pädagogisch eher weniger wertvollen Lehrern und einer bleiernen Schulmüdigkeit (nach acht Jahren wohl kein Sonderfall) vermisse ich leider recht wenig aus diesem vorherigen Leben. Der einzige Sinn im täglichen Frühaufstehen bestand wohl darin, Freunde zu sehen. Auch noch nett, die Chorfahrten und das wöchentliche Trällern, das aus all ihren Schul-Sängern eine besondere Gemeinschaft schuf. 

Als der ganze Spuk schließlich vorbei war und ich nach einem äußerst ausgelassenen Sommer mein Glück immer noch nicht fassen konnte, ging die Reise für mich erst richtig los. Unvorstellbar auch nur der Gedanke, meine Nase sofort wieder in Bücher zu stecken - ich wäre eingegangen wie eine Primel. Dank der kolossalen Unterstützung meiner verständnisvollen Eltern nahm ich mir eine Auszeit, die ich niemals bereuen werde. Ich packte meine sieben Sachen und reiste also genau vor einem Jahr nach England. 
Untergebracht in einer der Sprachschulen Oxfords, lebte ich in einem Studentenhaus, das internationaler, kommunikativer und feierwütiger nicht sein konnte. Jeden Morgen fuhr ich mit dem roten Doppeldecker zum Unterricht, lernte binnen einer Woche so viel Leute kennen wie nie zuvor, man erkundete zusammen das herzerwärmende Städtchen samt englischer Kultur und lebte, als gäbe es keinen Morgen. 

Viele meiner alten Freunde hatten sich ebenfalls in ein gap year geschwungen, teilweise mit viel exzentrischeren Zielen wie Afrika, New York, Peru, Vietnam oder China. Ich bewunderte Sie sehr für ihren Mut, sich vom heimischen Gefilde direkt ans andere Ende der Welt zu katapultieren - mir wäre der Kulturschock für den Anfang zu groß gewesen. 

Statt auf einem Frachter um die Welt zu segeln (so wie es ein Bekannter tat) lebte ich mich stattdessen in einer Welt ein, die vom ersten Augenblick ein Zuhause war.  
Sich sozial auf 0 zurückzuschrauben, in anderen Worten komplett neu zu präsentieren, sich in einem anderen Land in einer anderen Sprache zurecht zu finden, zum ersten Mal seinen Hausstand alleine zu führen - all das, was einem vorher leichte Bauchschmerzen bereitet hatte, erwies sich als Kinderspiel. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Tag im Park vorm Christ-Church(Harry Potter)-College sitzen - mutterseelenallein. Es war ein eigenartiges Gefühl. Einerseits kam ich mir ein bisschen verloren vor, andererseits erschien es mir als eine Art "Wiederauferstehung"; die Karten wurden jetzt neu gemischt. 
Noch am selben Abend dieses besagt einsamen Sonntages saß ich mit Irina aus St. Petersburg im Irish Pub und genoss ihre wie Cidres Gesellschaft. Sie war für einen Monat mein roomie in Cambridge Terrace (ein Haus idealer Lage, ein Katzensprung von der High Street und Christ Church College gelegen). Es folgten Elena aus Spanien und Guido aus Brasilien und auch wenn ich mir keinen der drei hatte aussuchen dürfen, hätte mich das Glück nicht besser treffen können. 


Picture of Oxford's skyline: jackgibbons.com

Kaplan International College hielt ebenfalls, was es großspurig versprochen hatte. International war es allemal, schaute man sich mittags in der Cafeteria um, fühlte man sich wie in einen Multi-Kulti-Verein geworfen. Kolumbianer, Chilenen, Brasilianer, Araber, Chinesen, Koreaner, Tschechen, Russen, Franzosen, Türken, Italiener, Spanier, Afrikaner, Skandinavier, Schweizer und ein paar vereinzelte Landsmänner - fast jeder Kontinent schien vertreten. Ich liebte es, ihren persönlichen Geschichten & Erfahrungen von Tradition, Sitten, Geschichte bis hin zu Politik (über die übrigens alle gleich viel jammerten) zuzuhören. Nicht selten kam es vor, dass man sich kurzerhand zusammen zum Lunch verabredete oder sich abends beim Feiern wieder begegnete (unbeschreiblich erfreut...hicks!) 

Das tolle an meinem längeren Aufenthalt (insgesamt 7 Monate) war die Bereitschaft zu echten Bindungen. Klar kann man auch bei kürzeren Sprachreisen Menschen treffen, die einen länger begleiten werden. Doch die Summe an Erlebnissen, gemeinsamer Erfahrungen konnte sich in diesem halben Jahr nur häufen - Bekanntschaften zu Freundschaften vertiefen. 
An den Wochenenden packte man zusammen die Koffer und reiste durch die Gegend, traf sich nach dem Unterricht im Pub oder zum Kochen in den Gemeinschaftsküchen, strich durch Museen und Ausstellungen (in Oxford reichlich vorhanden),  schummelte sich auf College-Veranstaltungen, feierte Halloween und Weihnachts-Dinner zusammen und ging drei mal wöchentlich Party machen. 
Es herrschte eine Stimmung, die positiver und optimistischer nicht existiert (davon bin ich überzeugt), denn jeder wollte jeden einzelnen Tag auskosten, das beste aus seinem Auslandaufenthalt machen. Noch nie sind mir noch dazu so viel Offenheit und Interesse entgegengeschlagen - mit Hochnäsigkeit kam man hier nicht weit. 
"I always thought,  I was liberal and openminded but only here I realized that I was not", an dieser Stelle musste ich meiner Freundin Elena Recht geben, ich war es wahrscheinlich genauso wenig gewesen.  

Denke ich heute an diese sagenhaften Oxford-Zeiten zurück, packt mich auf der Stelle das Fernweh. Ein ziemlich schlimmes, um genau zu sein, denn es ist, als denke man an einen verschwundenen Ort. 
Komme ich morgen nach Oxford zurück, sind alle Seelen, mit denen man diesen Platz des Glücks verbindet, wieder nach Kolumbien, Spanien, Oman und sonstewo verschwundenen. Übrig bleibt nur mein einziger, einheimischer Freund, der dann wahrscheinlich seinen College-Abschluss und auch bald die Biege macht. 
Verbunden ist man trotzdem noch miteinander, da auf Facebook und Whatsapp immer noch heiter kommuniziert wird. Und auch wenn man das vielleicht nicht mit jedem tut, so weiß ich trotzdem, wen ich anrufen könnte, lande ich eines Tages in Saudi Arabien, Süd-Korea oder Kolumbien. 

Allen, die grade frisch ihr Abi in der Tasche haben, und noch am Überlegen sind, kann ich nur zu einer solchen Reise raten. Zeit für sich selbst und besondere Erlebnisse sind nämlich Schätze, die einem keiner mehr nehmen kann. Und auch wenn das seltsam klingen mag, ich selbst wäre nicht die gleiche, wäre mir so was wie Oxford nicht passiert. 

  

Photo: Tim Walker



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen