Rein Spaßeshalber
setzte ich mir neulich dieses werte Stück Stoff auf den Kopf und blicke plötzlich einem anderen Leben ins Gesicht. So hätte es auch kommen können, dachte ich mir.
Rein Spaßeshalber
setzte ich mir neulich dieses werte Stück Stoff auf den Kopf und blicke plötzlich einem anderen Leben ins Gesicht. So hätte es auch kommen können, dachte ich mir.
Wäre ich nicht in eine alt-preußische sondern in eine Familie aus dem Nahen Osten geworfen worden, hätte irgendwann der Tag vor der Tür gestanden, an dem ich meinen Haarschopf vor der Öffentlichkeit versteckt hätte. Fortan wären meine Züge von einem Schal umrandet gewesen, ganz gleich, ob mir die Nase nach einem Flechtzopf oder Walla-Mähne gestanden hätte.
In Deutschland ist der Anblick von verschleierten Mädchen keine Seltenheit. Allein um die drei Millionen Menschen haben einen türkischen Hintergrund, wovon sich nur 3% als nicht gläubig, aber 20% als streng religiös betrachten (Stand 2012). Folgt man der islamischen Pflichtenlehre, so ist für Mädchen das Tragen des Kopftuches nicht wegzudenken. Das hat keinen anderen Hintergrund, als dass man mit seinen weiblichen Reizen keine Unruhen in der Gesellschaft schüre, sprich das männliche Geschlecht nicht auf falsche Gedanken bringt. Denn solange man sich pflichtgemäß im Diesseits verhält, belohnt einen reich das Jenseits.
Tim Walker Photography/ Ego |
Muhammad sei von Gott ein soziales System offenbart worden, das die Frau befreit und emanzipiert habe, insofern wird die islamische Kleidung der Frau als ein Zeichen von Emanzipation betrachtet. Darunter ist zu verstehen, dass das Befolgen der islamischen Regeln die Gesellschaft vor Unruhe (fitna) bewahre, die vor allem durch die Reize der Frau ausgelöst werden, und schafft nach diesem Verständnis das positive Ergebnis einer stabilen Gesellschaft, so der pakistanische Islamist Maududui. Er ist ein Verfechter der Vollverschleierung der Frau und gegen ihre Berufstätigkeit.
Jetzt wird es für mich zwiespältig!
Wie kann ich das Wort Emanzipation in den Mund nehmen, und gleichzeitig an den Herd gebunden sein?! Wie soll von Gleichberechtigung die Rede sein, wenn nur das eine Geschlecht diesen peniblen Regeln nachkommen muss - warum sind nicht auch durchtrainierte Waschbrettbäuche anzüglich?!
Leben wir wirklich in einer Welt, in der sich der Mann sofort auf ein wohlgeformtes Paar Brüste stürzt, das sich unter einem T-Shirt abzeichnet? Oder haben nicht vielleicht beide Geschlechter ihren natürlichen Trieb weitgehend unter Kontrolle?
An dieser Stelle wird es brenzlich, nicht als Islam-Feind bezeichnet zu werden. Dem kann ich persönlich nur wehenhemmend widersprechen, weil ich durchaus mit Respekt auf die Person unter der Burka schaue. Einerseits, weil ich ihre Entscheidung zu akzeptieren habe, und andererseits, weil mich religiöse wie kulturelle Hingabe stets fasziniert hat.
"Am Ende wollen wir alle doch das Gleiche. Das Leben genießen, uns mit Anerkennung gut fühlen, geliebt werden etc" erinnerte mich mein saudischer Freund Mo daran, wie Religion die Menschheit so oft in verschiedene Schubladen sperrt. "In erster Linie bin ich ein Mensch, dann erst bin ich Muslimin", sagte auch Mukkaddes, eine Türkin zu der ich damals wie heute Kontakt pflege. Erstaunlicher Weise fielen Sätze wie diese aus den Mündern der Andersgläubigen, ohne, dass ich eine diesbezügliche Frage gestellt hatte. Hatten sie möglicher Weise meine Unsicherheit gespürt? Gemerkt, dass ich meine eigene Weiblichkeit plötzlich in einen anderen Kontext stellte, saß ich einer Frau mit verhülltem Haar gegenüber?
Was ich mich bis heute nur frage, wie sehen Muslime westliche Mädchen?!
Gelten wir womöglich als unrein, weil wir mit offenem Haar und Sommer-Shorts in einem Park auf dem Rasen sitzen? Oder taucht die Bewertung unserer (offenbarten) Weiblichkeit schlichtweg nicht auf, da wir einer anderen Kultur angehören?
Foto: epd-Bild/ Stefan Trappe |
So sehr ich mich auch bemühe, die Vollverschleierung einer Burka ängstigt mich. Wenn es sich bloß um einen einfachen Mode-Trend handeln würde, wäre das vielleicht übertrieben. Doch die bodenlange Kluft namens Abaya ist nur die Verpackung eines weiblichen Status, der nicht viel zu melden hat.
Wo ist da die Grenze zu ziehen, darf ich mir nicht mal das oberflächlichste meiner Erscheinung, mein Outfit frei wählen?! Und warum sind es ausgerechnet oft diese Frauen, die
im schlimmsten Fall kein Auto (wenn nicht sogar ein Fahrrad) fahren dürfen, sich nicht am Meer sonnen, nachts alleine auf die Straße gehen (weil sie dann als Prostituierte verschrien sind), gemischte Universitäten oder Restaurants besuchen dürfen, und vielleicht nie die Aussicht besitzen werden, eines Tages durch einen Beruf auf eigenen Füßen zu stehen. Geschweige denn, den Ehemann ihrer Wahl bis ans Lebens Ende ehren zu dürfen. Deprimiert kehrte auch Rettungsassistent Stefan Bauer aus Saudi Arabien zurück, nachdem er ein geschlagenes Jahr beim Roten Halbmond gearbeitet hatte und leider nicht im Stande war, viele Leben zu retten.
Bauer: Einmal wurden wir zu einer einsetzenden Geburt gerufen. Normaler Weise schaut man dann: Müssen wir das Kind gleich hier entbinden, oder schaffen wir es noch ins Krankenhaus? Das hab ich über meinen Dolmetscher dem Ehemann erklärt - dreimal, bis er gesagt hat: Ja Du darfst mal unter die Abaya gucken (traditionell dunkles Gewand - d.Red). Dort habe ich gesehen, dass der Kopf des Kindes auf die Nabelschnur drückt; das ist lebensgefährlich für das Baby. Normaler Weise würde man in so einer Situation den Kopf mit der Hand zurückschieben, um die Nabelschnur zu entlasten. Das haben wir dem Mann erklärt, aber der sagte nur: Nein, gucken darfst Du, aber nicht anfassen.
(http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/deutscher-rettungswagenfahrer-in-saudi-arabien-blaulicht-durch-riad-a-956053.html)
Fragen schwirren in meinem Kopf. Soll eine religiöse Tradition/Verpflichtung so über das Leben von Mutter und Kind herrschen?! Müssen ohne Notwendigkeit zwei Leben aufs Spiel gesetzt werden, um jenen Regelverstoß (noch dazu einen von kurzer Dauer) auf Tod und Verderben zu umgehen?
Wahrscheinlich muss man als Frau in diese religiöse Kutte hineingeboren werden. Vielleicht ist es dann selbstverständlicher, durch einen Augenschlitz auf die Welt zu blicken und mehr von seinem Mann und Burka bestimmt zu werden, als von einem selbst. Dass man als westliches Mädchen dieses Gewand eher als Freiheitsberaubung als ein Zeichen von Emanzipation versteht, haben wahrscheinlich bereits unsere Vorfahren im antiken Rom verschuldet. Nicht als Sünde, sondern als Schönheit der Natur priesen Künstler wie Michelangelo die weibliche Nacktheit, die sie schamlos auch in Stein zu meißeln verstanden. Heute schenken wir in Italien diesen Meisterwerken von idealen Brüsten bis steinernen Hoden bewundernde Blicke und legen uns später an den Strand - im Bikini. Denn ohne die Gefahr laufen zu müssen, von der Gesellschaft für sein Sonnenbaden geächtet, wenn nicht gar gesteinigt zu werden, dürfen sich Mädchen hier zeigen. Voller Stolz, so wie sie geboren wurden. Denn was anfangs noch mit dem Glauben gerechtfertigt wird, erweist sich allein als Kontrolle über die weibliche Sexualität.
"Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern!"
(Heinrich Heine)
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