DIE HAUT
SPRICHT FÜR SICH
Auf der außerordentlich schönen Insel Fraser Island sprang mir neben Haien, Dingos, Monsterechsen und Schlangen ebenso eins ins Auge: Schriftzüge!
An Fußsohlen heraufkriechend, Unterarmen entlangziehend, Seitenrippen markierend, oder unter dem Nackenhaar aufblitzend - wo man auch hinsah, wollten einem Tattoos etwas mitteilen.
Besonders beliebt: Weisheiten!
"travelling is the only thing you pay for and makes you richer"
oder "family is forever"
las ich an gewissen Körperstellen, so als blätterte man in einem Poesiealbum.
oder "family is forever"
las ich an gewissen Körperstellen, so als blätterte man in einem Poesiealbum.
Alle mit der selben Schnörkelschrift versehen, könnte man meinen, jemand wäre mit einem Stempel rumgegangen und hätte allen den selben Aufdruck verpasst.
Welche Vorbilder jederman sich zu Herzen genommen, verraten Musikstreifen wie "diamonds in the sky" und "summertime sadness". Wo Stilikonen wie Rihanna, Angelina Jolie, Lana del Ray oder Cara soundso ein Zeichen von Avantgarde setzten (und das vor nicht all zu langer Zeit), hat sich das Tattoofieber augenscheinlich auch bei perfekten Schwiegertöchtern, Normalsterblichen und Mauerblümchen ausgebreitet.
Das Hipster-Brandzeichen wird mainstream - wer hätte es gedacht?!
Mit Vergnuegen denke ich an den kleinen Schrecken, den ich meiner Frau Mam'a neulich (einfach) einjagen musste. Zum ersten Mal in einem Leben hatte ich einen Tattoo-Laden betreten, um Freundin Elena mentalen Beistand zu leisten; zuzusehen, wie sich die spitze Nadel in ihre Haut bohren sollte. Einen Snapshot dieser Szenerie an Mami-Whatsapp sended, konnte ich mir die Anmerkung nicht verkneifen, ich hätte ebenfalls schwarze Tinte in meine Haut fliessen lassen (ich meine, meine vier Buchstaben genannt zu haben).
Jene Reaktion war wie zu erwarten PANISCH.
"Oh nein Sophie, sag bitte bitte, dass das nicht wahr ist", lautete die sichtlich verzweifelte Mutterantwort mit 100 weinenden Smilies (das Kind muss im Ausland nicht nur auf dumme Gedanken, sondern gleich auf die schiefe Bahn geraten sein)
Elenas Zuhause-Anruf mit der Überschrift "Für immer" muss ähnlich ausgesehen haben. Das große WARUM???, Denk-doch-bitte-noch-mal-drueber-nach! und Du-weist-dass-ich-keine-Tattoos-mag, scheinen in jedes Wörterbuch einer anständigen Mutter gedruckt.
Weshalb?
Weil man zum ersten Mal ein Für-Immer-Teil in sein Puzzle einfügt (und man aus Elternsicht dafür natuerlich noch viel zu jung ist), sich evt. Hepatitis einfinge, oder gar Stechsuechtig werde (aus Begeisterung von weiteren Bildchen befallen werden könnte).
Oder, aus ganz simplen Grund, seinen Status von artig konservativ in PRIMITIV ändert?!
"Sinnbild hoffnungsloser Entwurzelung" zitierte die Welt (13/09/12; Ulf Poschardt) die Spiessigkeit des Tribal-Tattoos der Ex First Lady Bettina Wulf.
Auch: "Früher ein Siegel des Außenseitertums, ein Erkennungsmerkmal der Ganoven und Piraten, der Lustdamen, Gestörten und Exzentrike".
Ja, man lege die Betonung auf Früher!
Denn der klassische Hipster-Bekenner, aus Berlin oder Amsterdam stammend, mit Rauschebart, spitzen Schuhen, einer Zigarette hinter dem Ohr klemmend - nur weil seine Arme wie ein Picasso gemustert sein mögen, heisst es noch lange nicht, er leide unter hoffnungsloser Entwurzelung...!
Despite misconceptions based on their aesthetic tastes, hipsters tend to
be well educated and often have liberal arts degrees, or degrees in
maths and sciences, which also require certain creative analytical
thinking abilities. Consequently many hipsters tend to have jobs in the
music, art, and fashion industries. It is a myth that most hipsters
are unemployed and live off of their parent's trust funds.
(Urban Dictionary: Hipster)
Verständlich, dass man dem als Normalo gern den kleinen Finger reicht;
nur, um ein kleines wenig gegen den Strom zu schwimmen und, blutjung, Authentizität zu erlangen.
Und sei es nur, dass man ein paar Schwalben übers Schulterblatt fliegen laesst.
Auch das Tattoo ist diesen Weg gegangen. Vom Zeichen der Unterwelt hat es von Künstlerhand Kultstatus erworben und ist heute Bestandteil einer außergewöhnlichen Subkultur.
Das klassische Arschgeweih wird zwar eh und je den Aristokraten erschrecken, doch die kreative Endlosigkeit der Hipster-Szene kann weder als gewöhnlich, noch prollig bezeichnet werden.
Das klassische Arschgeweih wird zwar eh und je den Aristokraten erschrecken, doch die kreative Endlosigkeit der Hipster-Szene kann weder als gewöhnlich, noch prollig bezeichnet werden.
Und wie die Welt der Trendsetter nie entweder schwarz, oder weiß schimmerte, so ist das neue Tattoo definitiv ein ultra modernes Grau.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen