Von Büchern
und ihren Seelen
In meinem Zimmer haust momentan bloß ein
einziges Buch. „Ach herje….!“, werden manche von Euch jetzt denken, „Klingt ja
sehr intellektuell...“. Und um dem noch eins draufzusetzen, folgt hier gleich
eine weitere, bittere Wahrheit:
Absurd nicht für
meine Generation.
Als Kinder des Kinox.to-, Apple-,Facebook-,
und neuerdings Kindle-Zeitalters, sind in Teenie-Zimmern die Bücherregale vom
Aussterben bedroht. Das zu pauschalisieren, traue ich mich zwar noch nicht,
denn sicherlich findet sich hier und da noch der klassische Bücherwurm, sein
Bücherregal nach Farben und Genres ordnend oder von seiner eigenen,
verwunschenen Buchhandlung träumend (alias Notting Hill). Auch den
hyperpassionierten Twilight- oder Harry-Potter-Lesern sei ungern auf die Füße getreten.
Dennoch, der jugendliche Trend geht eindeutig dahin, seine Augen ins Handy anstatt
in einen Wälzer zu versenken.
Wenn Ihr euch schon auf eine deprimierte Hetzschrift
gegen meine (verlorene) Altersklasse eingestellt habt, dann muss ich Euch enttäuschen!
Was ich mich allerdings frage, verschwinden all die
gebundenen Geschichten langsam aber sicher aus unseren vier Wänden, weil das
klassische Buch wertlos geworden ist?
Mag sein, dass ich in dieser Hinsicht etwas
altmodisch klinge, aber lasst mich nur ein paar Gedanken über das zukünftige
Buch ausspucken.
Widersprüchlich hin oder her, Musik lade ich auf
meinen iPod, ein Kindle wiederum schiebe ich (unter lautem Protest)
beiseite. Dabei würde wenig dagegensprechen, den 500seitigen Roman als
digitale Datei in der Handtasche mit sich herumzutragen, anstatt seinen kleinen
Teil zur Abholzung des Regenwalds beizutragen. Schallplatten und CDs ist schon
das widerfahren, was vielleicht auch dem Buchrücken droht. Rufschändung wegen
Zwecklosigkeit, gefolgt von schonungsloser Modernisierung, oder besser
Ausrottung?!
Stellt Euch doch kurzweilig vor, Ihr
könntet einen Blick ins Jahr 2034 werfen! Und Ihr seht einen alten, gediegenen
Herrn am Hemdsärmel ins Kinderzimmer seines Enkels gezogen werden. „Großpapa, kennst
Du Huckleberry und Tom???“, vor Begeisterung färben sich die Wangen des Knirps ganz rot, „ich will auch ein Abenteuer wie die!“ Der alte Herr
schmunzelt, sichtlich gerührt. „Aber das hast du doch – sobald Du dein Buch
aufschlägst!“ Der kleine Junge blickt verwirrt aus der Wäsche. „Aufschlägst??“
Er stört sich jedoch nicht lange an dem verbalen
Stolperstein und beginnt aufgeregt glucksend von seiner Lieblingsanekdote zu
erzählen. Verwirrt bleibt nur der Großvater zurück. „Seltsam“, denkt der, „das
Kind ist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen/ mit drei konnte es schon mehr
Wörter als sein Vater mit sieben!“
„Guck maaal, hihi, die sind soo lustig, wie sie den Zaun
streichen!“ Der alte Herr reißt sich aus seinen Grübelein und sieht ihn, seinen
ganzen Stolz von kleinem Manne, mit einem schokoladentafelgroßen Gegenstand in
den Fäusten angelaufen kommen. Huckleberry Finn?!
Doch auf einmal dämmerte es dem alten Mann, was an Aufschlagen so schwer zu verstehen war!
Der Sprössling drückt an einem Knopf herum und je länger er drückt und drückt
und beileibe nichts passiert…, desto sichtlicher kündigt sich ein Wutanfall an!
„Mannoo“, heult er schließlich, „schon wieeeder leer!“ „Sei nicht traurig!“, versucht der Großpapa das Schlimmste
abzuwenden, „Du kannst es mir beim nächsten Mal zeigen!“
Der alte, gediegene Herr tritt zurück auf den Flur,
einen bitteren Geschmack auf der Zunge. "Wie hat uns doch die Energie im Griff…
Jetzt kann man noch nicht mal mehr ein Buch ohne sie öffnen!“, grummelt er in
seinen Bart.
Das Rascheln von Seiten, in denen man kurz geblättert, der
Geruch frisch bedruckten Papiers, hält man seine Errungenschaft Zuhause das
erste Mal in den Händen. Das neugierige Herausziehen von geheimnisvollen
Exemplaren in verstaubten, unerforschten Bibliotheken. Oder ein liebevolles
Zitat, das man jemandem auf die erste Seite kritzelt.
Wollen wir das alles aufgeben, für… etwas Praktisches? Für
etwas Praktisches, dessen Hersteller aus profitablen Gründen das Sterbedatum
ihres Kindles schon rot in den Kalender geschrieben haben?!
Vor ein paar Jahren bin ich mit meinen Eltern durch England
gereist und auf einer unserer (unzähligen…) Wanderschaften durch romantische
Ländlichkeiten, stolperten wir über eine Kiste mit Büchern. In der verträumten
Dorfgasse war weit und breit kein Zugehöriger zu sehen, nur ein kleines Schild
und eine kleine Box, in der bereits ein paar Münzen schepperten. One book - 1 Pound!
In jener Kiste habe ich eins meiner Regallieblinge gefunden.
Es ist sehr vergnüglich, sich auszumalen wo es mal gestanden haben könnte und
besonders, wer es auf seinem Nachtisch liegen hatte. Sein altrosa Leineneinband
hilft mir ein wenig auf die Sprünge, sein Jane Austentitel auch…
Dem Zufall sei’s jedenfalls gedankt, dass es schon ein paar
Jahre her ist, seit es unter jener geblümten Gartenmauer auf mich wartete. Nämlich zu
einer Zeit, in der das digitale Buch noch als wage Idee in irgendeines
futuristischen Kopfes spukte (wäre es doch ein Hirngespinst geblieben…).
Hätte ein Shabby-Chic-Kindle
mir schöne Augen machen können?
Nein, Jane Austens Schreibfeder verwettet, ganz sicher
nicht! Gar nicht auszumalen, um welches (!) Buch ich jetzt ärmer wäre! Vielleicht
bleibt die Geschichte als ihr Luftschloss in einem „Lesetablett“ erhalten, doch
eine lang bewährte Buchkultur bringt jener wachsende Kindle-Konsum definitiv zum Stockenl. In welche geheimnisvolle Bibliothek sollen unsere Nachfahren einmal
stolpern, wenn wir ihnen nur die verkappten Seelen eines Buches überlassen?
Aber ich möchte nicht zu einseitig klingen (ist es schon zu
spät?!). Jedem, dem sein Kindle schon ans Herz gewachsen ist, bleibe der
moderne Lesespuk bitte seine ganze Freude! Den (eigentlich) unverantwortlichen
Papierverbrauch habe ich schon erwähnt, ganz zu schweigen von Eselsohren,
überschwemmten Dachböden (wo zufällig immer die Kinderbücher gelagert worden
waren) und Backsteinen in der Reisetasche.
Genau das ist übrigens auch der Grund für das Einzelkind in
meinem (derzeitigen) Bücherregal. Als ich meinen Oxfordkoffer packte, sah der
warme Wollpullover gegen
Die unendliche
Geschichte leider um einiges luftigleichter aus…
Umso wertvoller erscheint
mir jetzt dieses eine und einzige Buch.
Liebe Sophie, was für schöne Geschichten! Man fühlt, wie die Worte nur so aus Dir raussprudeln. Die Buchempfehlung klingt sehr gut. Das sollte ich mir vielleicht mal gönnen. Den Mut, mich auf diese Party zu schmuggeln, hätte ich nicht gehabt. Wie gut, dass Du solche Abenteuer für uns erlebst. Zauberhaftes Foto von dem Bücherstapel unter den Rosen. Eines von denen würde ich auch jedem Kindle vorziehen. Weiterhin schöne Abenteuer und Tagträume unter dramatischen Wolken oder auf Papier wünscht Dir Uta
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