Dienstag, 15. Oktober 2013




Von Büchern 
und ihren Seelen






In meinem Zimmer haust momentan bloß ein einziges Buch. „Ach herje….!“, werden manche von Euch jetzt denken, „Klingt ja sehr intellektuell...“. Und um dem noch eins draufzusetzen, folgt hier gleich eine weitere, bittere Wahrheit:
Absurd nicht für meine Generation.

Als Kinder des Kinox.to-, Apple-,Facebook-, und neuerdings Kindle-Zeitalters, sind in Teenie-Zimmern die Bücherregale vom Aussterben bedroht. Das zu pauschalisieren, traue ich mich zwar noch nicht, denn sicherlich findet sich hier und da noch der klassische Bücherwurm, sein Bücherregal nach Farben und Genres ordnend oder von seiner eigenen, verwunschenen Buchhandlung träumend (alias Notting Hill). Auch den hyperpassionierten Twilight- oder Harry-Potter-Lesern sei ungern auf die Füße getreten. Dennoch, der jugendliche Trend geht eindeutig dahin, seine Augen ins Handy anstatt in einen Wälzer zu versenken.

Wenn Ihr euch schon auf eine deprimierte Hetzschrift gegen meine (verlorene) Altersklasse eingestellt habt, dann muss ich Euch enttäuschen!
Was ich mich allerdings frage, verschwinden all die gebundenen Geschichten langsam aber sicher aus unseren vier Wänden, weil das klassische Buch wertlos geworden ist?

Mag sein, dass ich in dieser Hinsicht etwas altmodisch klinge, aber lasst mich nur ein paar Gedanken über das zukünftige Buch ausspucken.
Widersprüchlich hin oder her, Musik lade ich auf meinen iPod, ein Kindle wiederum schiebe ich (unter lautem Protest) beiseite. Dabei würde wenig dagegensprechen, den 500seitigen Roman als digitale Datei in der Handtasche mit sich herumzutragen, anstatt seinen kleinen Teil zur Abholzung des Regenwalds beizutragen. Schallplatten und CDs ist schon das widerfahren, was vielleicht auch dem Buchrücken droht. Rufschändung wegen Zwecklosigkeit, gefolgt von schonungsloser Modernisierung, oder besser Ausrottung?! 

Stellt Euch doch kurzweilig vor, Ihr könntet einen Blick ins Jahr 2034 werfen! Und Ihr seht einen alten, gediegenen Herrn am Hemdsärmel ins Kinderzimmer seines Enkels gezogen werden. „Großpapa, kennst Du Huckleberry und Tom???“, vor Begeisterung färben sich die Wangen des Knirps ganz rot, „ich will auch ein Abenteuer wie die!“ Der alte Herr schmunzelt, sichtlich gerührt. „Aber das hast du doch – sobald Du dein Buch aufschlägst!“ Der kleine Junge blickt verwirrt aus der Wäsche. „Aufschlägst??“
Er stört sich jedoch nicht lange an dem verbalen Stolperstein und beginnt aufgeregt glucksend von seiner Lieblingsanekdote zu erzählen. Verwirrt bleibt nur der Großvater zurück. „Seltsam“, denkt der, „das Kind ist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen/ mit drei konnte es schon mehr Wörter als sein Vater mit sieben!“
„Guck maaal, hihi, die sind soo lustig, wie sie den Zaun streichen!“ Der alte Herr reißt sich aus seinen Grübelein und sieht ihn, seinen ganzen Stolz von kleinem Manne, mit einem schokoladentafelgroßen Gegenstand in den Fäusten angelaufen kommen. Huckleberry Finn?!
Doch auf einmal dämmerte es dem alten Mann, was an Aufschlagen so schwer zu verstehen war! Der Sprössling drückt an einem Knopf herum und je länger er drückt und drückt und beileibe nichts passiert…, desto sichtlicher kündigt sich ein Wutanfall an! „Mannoo“, heult er schließlich, „schon wieeeder leer!“ „Sei nicht traurig!“, versucht der Großpapa das Schlimmste abzuwenden, „Du kannst es mir beim nächsten Mal zeigen!“
Der alte, gediegene Herr tritt zurück auf den Flur, einen bitteren Geschmack auf der Zunge. "Wie hat uns doch die Energie im Griff… Jetzt kann man noch nicht mal mehr ein Buch ohne sie öffnen!“, grummelt er in seinen Bart.




Das Rascheln von Seiten, in denen man kurz geblättert, der Geruch frisch bedruckten Papiers, hält man seine Errungenschaft Zuhause das erste Mal in den Händen. Das neugierige Herausziehen von geheimnisvollen Exemplaren in verstaubten, unerforschten Bibliotheken. Oder ein liebevolles Zitat, das man jemandem auf die erste Seite kritzelt.
Wollen wir das alles aufgeben, für… etwas Praktisches? Für etwas Praktisches, dessen Hersteller aus profitablen Gründen das Sterbedatum ihres Kindles schon rot in den Kalender geschrieben haben?! 


Vor ein paar Jahren bin ich mit meinen Eltern durch England gereist und auf einer unserer (unzähligen…) Wanderschaften durch romantische Ländlichkeiten, stolperten wir über eine Kiste mit Büchern. In der verträumten Dorfgasse war weit und breit kein Zugehöriger zu sehen, nur ein kleines Schild und eine kleine Box, in der bereits ein paar Münzen schepperten. One book - 1 Pound!
In jener Kiste habe ich eins meiner Regallieblinge gefunden. Es ist sehr vergnüglich, sich auszumalen wo es mal gestanden haben könnte und besonders, wer es auf seinem Nachtisch liegen hatte. Sein altrosa Leineneinband hilft mir ein wenig auf die Sprünge, sein Jane Austentitel auch…
Dem Zufall sei’s jedenfalls gedankt, dass es schon ein paar Jahre her ist, seit es unter jener geblümten Gartenmauer auf mich wartete. Nämlich zu einer Zeit, in der das digitale Buch noch als wage Idee in irgendeines futuristischen Kopfes spukte (wäre es doch ein Hirngespinst geblieben…).
Hätte ein Shabby-Chic-Kindle mir schöne Augen machen können?
Nein, Jane Austens Schreibfeder verwettet, ganz sicher nicht! Gar nicht auszumalen, um welches (!) Buch ich jetzt ärmer wäre! Vielleicht bleibt die Geschichte als ihr Luftschloss in einem „Lesetablett“ erhalten, doch eine lang bewährte Buchkultur bringt jener wachsende Kindle-Konsum definitiv zum Stockenl. In welche geheimnisvolle Bibliothek sollen unsere Nachfahren einmal stolpern, wenn wir ihnen nur die verkappten Seelen eines Buches überlassen?


Aber ich möchte nicht zu einseitig klingen (ist es schon zu spät?!). Jedem, dem sein Kindle schon ans Herz gewachsen ist, bleibe der moderne Lesespuk bitte seine ganze Freude! Den (eigentlich) unverantwortlichen Papierverbrauch habe ich schon erwähnt, ganz zu schweigen von Eselsohren, überschwemmten Dachböden (wo zufällig immer die Kinderbücher gelagert worden waren) und Backsteinen in der Reisetasche.
Genau das ist übrigens auch der Grund für das Einzelkind in meinem (derzeitigen) Bücherregal. Als ich meinen Oxfordkoffer packte, sah der warme Wollpullover gegen
Die unendliche Geschichte leider um einiges luftigleichter aus… 
Umso wertvoller erscheint mir jetzt dieses eine und einzige Buch.





 



1 Kommentar:

  1. Liebe Sophie, was für schöne Geschichten! Man fühlt, wie die Worte nur so aus Dir raussprudeln. Die Buchempfehlung klingt sehr gut. Das sollte ich mir vielleicht mal gönnen. Den Mut, mich auf diese Party zu schmuggeln, hätte ich nicht gehabt. Wie gut, dass Du solche Abenteuer für uns erlebst. Zauberhaftes Foto von dem Bücherstapel unter den Rosen. Eines von denen würde ich auch jedem Kindle vorziehen. Weiterhin schöne Abenteuer und Tagträume unter dramatischen Wolken oder auf Papier wünscht Dir Uta

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