Samstag, 16. November 2013


                                Jetzt ist Spielzeit




Dämlich, dennoch wahr:

Ich wollte schon immer älter sein – mein Leben lang!


„Der Jugend Weisheit ist mit Lumpen gefüttert…“, kann man Goethe förmlich stöhnen hören und an dieser Stelle würde ihm Charlie Chaplin jammernd beipflichten: „Die Jugend wäre eine so schöne Zeit… wenn sie etwas später im Leben käme!“ 
 
Wären diese beiden Herren jemals ins Gespräch gekommen, zum Stichwort „Jugendsünde“ hätte jede der Legenden sein Wörtchen zu sagen; einstimmig!
Doch zurück zu meiner eigenen. Erst neulich fiel mir ein, dass ich bereits mit sechs zarten Jahren ein äußerst gern praktiziertes Dauerspiel hatte. Das ging ungefähr so: „Ich bin 12 und heiße…“ Das Alter 12 erschien mir, wie sich denken lässt, nicht nur wahnsinnig alt, sondern spiegelte aus damaliger Sicht auch eine andere, schier unerreichbare Sphäre wider. Aber das war nur ein Spiel.

Richtig Form nahm jene, früh akute Alterssehnsucht erst zwei Jahre später an, nachdem ich mich zum ersten Mal in meinem Leben unsterblich verliebt hatte. Das letzte was ich jetzt (in meinem träumerischen Schmachten) sein wollte, war ein kleines Kind, denn Liebesbriefschreiben und Räuber Hotzenplotz waren jetzt definitiv Gegenpole. Kurz über lang, ich gewöhnte mir das Spielen ab. Und gesittet saßen meine acht, fast neun Jahre daher jetzt am Schreibtisch und zeichneten etwas während meine Puppen traurig aus den Zimmerecken zusahen. Dabei hörte ich Popmusik, CDs die mein Vater mir abends aus dem Büro mitbrachte. Sterbenslangweilig zu Anfang, schließlich hatte ich von Englisch nicht ein Fünkchen Ahnung und ebenso gut hätte man mir Chinesisch vorplappern können. Aber es war jugendlich – und genau das wollte ich sein.






Ein paar Jahre weitergeguckt, trug ich schließlich die favorisierte 12 auf dem Buckel und hatte mittlerweile ehrlichen Gefallen an Robby Williams oder der (derzeitig noch unverbrauchten) Britney gefunden. (Bruchstücke verrieten mir, dass es sich in 95% der Songtexte um Gefühlsverwirrungen, Schmerz und Sehnsucht handelte – und genau in diese Schublade durfte man mich jetzt sperren!)

Der Übeltäter, der nur mit tiefen Augen und goldenen Lächeln mein Herz gestohlen hatte, war Abiturient und wie Werthers Lotte so unerreichbar wie die Sonne. Doch mein einjähriger, amourös verteufelter Zustand ließ mich wie auf Droge in Trance wandeln (was ich nicht für eine Dramaqueen war!) und läutete voller Kummer mein Teenie-Zeitalter ein. Was hätte ich nicht für das Alter 17/18 gegeben?! Meine Jugend! Wie Hans Christian Andersens Tragödie von der kleine Meerjungfrau erzählt, die aus Liebe auf den ersten Blick ihre Zunge gegen ein paar Menschenbeine gibt – ich wäre die erste Kundin der bösen Meereshexe gewesen! Ohne schamlose Übertreibung!


  


Es folgten ein paar gedanklich ausgewogenere Tage, wenn auch nur die Ruhe vor dem Sturm. 
16
Sweet sixteen, wer auch immer sich diesen kandierten Kosename ausgedacht hat! Jetzt, wo man bis Mitternacht ausgehen durfte, ohne von der Polizei auf der Straße aufgegabelt zu werden, sickerte die leise Ahnung vom Erwachsensein durch! Von rauschenden Partys, prickelnder Cocktailbrause und schillernden Kleiderpailletten. Das Vergnügen versprachen die Clubs auf der schäbigen Reeperbahn und die liefen den netten (im Nachhinein viel besseren), in Kellern geschmissenen House Partys den Rang ab. Ärgerlich bloß, dass die grimmigen Schränke vor den Clubs einen Wisch mit der Zahl 18 sehen wollten! Keinen anderen Geburtstag habe ich mehr herbeigesehnt – und ich glaube, es wird auch kein ähnlicheres Wunschalter mehr anstehen.




Enden wir im Jetzt. Jetzt bin ich erwachsen (jedenfalls auf dem Papier), mein Kinderzimmer trage ich als geschätzte Erinnerung im Herzen und tun und lassen kann ich nun endlich, zur Zeit im Ausland, was immer ich für richtig halte. Fabelhaft!
Doch zu früh gefreut. Der Wunsch nach Ansehen durch Alter und Reife ist von der Volljährigkeit nicht erstickt worden, nein, er frisst sich wie eine Made fort und wird auch noch jeden weiteren Lebensabschnitt überdauern. Wenn man diesem Blödsinn nicht mal endlich den Gar ausmacht.

Erst neulich saß mir der kleine Teufel wieder als Erinnerung im Nacken. Spontan hatte sich die glückliche Gelegenheit aufgetan, auf einen Jazz-Abend im Queens College mitgenommen zu werden. Bei feierlicher Dunkelheit spazierte ich darum am Montag in den golden ausgeleuchteten Römerbau auf der High Street (ja, dieses Mal mit Erlaubnis), um in den urigen Gewölbekellern einer Studentenband zu lauschen. Es war brechend voll und das Publikum mit der kleinen Ausnahme meiner selbst intern. Zu meinem ersten Schrecken war mein Begleiter rasch in anderweitige Gespräche vertieft und vor mir sah ich bloß eine Masse Unbekannter. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung, denn es wird mir bestimmt noch viele weitere Mal so ergehen, in eine Menge geworfen zu sein, ohne auch nur eine Sterbensseele zu kennen.

Und siehe da, ich habe es überlebt. Wie im Flug verloren sich eineinhalb Stunden im Smalltalk und meine Angst, bemitleidenswert in der Ecke zu enden, löste sich in Luft auf. Dem Himmel sei Dank. Faszinierend wie spannend weckten die persönlichen Geschichten und Laufbahnen mein Interesse. Unangenehm wieder und wieder war mir nur eins.



 

Oxfordstudent auf die Frage, was er zur Zeit treibe: „Also momentan bin ich mit meiner Masterarbeit beschäftigt und sehe mich wohl nebenher schon mal nach einem Job um, London ist da kein schlechtes Pflaster. Und du?“
Peace.
Ego: „Oh ich habe grade Abi gemacht und besuche hier eine Sprachschule… (Übersetzt, habe noch nicht mal ansatzweise angefangen!)“
„Tut mir Leid“ liegt einem da jedes Mal schon auf der Zunge (tut mir Leid, dass ich noch nicht so erfahren bin wie du) – die Frage ist bloß, wofür?? Dass man leider zu einem späteren Zeitpunkt gezeugt und in eine andere Generation gepflanzt wurde?! 


Drum ist die Jugend so schön, denn da hat man das Recht, dumm zu sein, und das Alter so traurig, denn da hat man die Verpflichtung, g’scheint zu sein
(Johann Nepomuk Nestroy (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor)


Warum nicht mit der Jugend kokettieren, riet mir weise meine engste Gesprächsperson, man müsse ja nicht auf furchtbar wichtig tun! Und das denke ich jetzt auch! Zwar muss man sich nicht sorgen, ich baue mir bald Neverland in den Garten, um alias Michael Jackson meine Kindertage nachzuholen. Doch was ich gerne von nun an leben möchte, ist den Augenblick. Unabhängig einer graden oder ungraden Nummer. Der Zeitpunkt ist gekommen, sich einfach reinzustürzen. Aufzutreten als „Hey HIER bin ich“ und entweder Ihr wollt mich so, oder eben nicht!
Und alt werde ich noch schnell genug! 











WE ARE YOUNg, 
Euer Fräulein Schreibwütig



1 Kommentar:

  1. Sehr weise und schön geschrieben. Habe vieles von mir selbst wiedererkannt.

    Ich kann dich aber beruhigen, nach einem guten Monat an der Uni, habe ich immer noch das Gefühl, auf meinem Kopf throne ein Krönchen mit obszön leuchtendem "Erstsemester"-Schriftzug. Ich dachte auch immer, als Student ist man wirklich (!) erwachsen, in mir haust aber immer noch das ewige Schulkind. Im Kopf hängt man wohl immer irgendwie einen Meilenstein zurück.

    Genug philosophiert. Liebe Grüße!

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